Rede: Kulturstaatsministerin Monika Grütters

Monika Grütters (BKM): Verleihung des Buchhandlungspreises in Heidelberg 2016. © Bundesregierung / Baumann

Monika Grütters (BKM): Verleihung des Buchhandlungspreises in Heidelberg 2016. © Bundesregierung / Baumann

Rede: Kulturstaatsministerin Monika Grütters

Buchhändlerinnen und Buchhändler leisteten einen wichtigen Beitrag zur literarischen und kulturellen Vielfalt, betonte die Kulturstaatsministerin. Deren Arbeit als »kulturelle Vermittler« werde zunehmend schwieriger. Die Auszeichnung mit dem Deutschen Buchhandlungspreis sei auch Anerkennung für den Mut, sich mit Individualität und innovativen Geschäftsmodellen in einem schwierigen Markt zu behaupten.

Die Rede im Wortlaut:

»Ein Leser hat’s gut«, meinte Kurt Tucholsky, »er kann sich seine Schriftsteller aussuchen.« Was Tucholsky womöglich nicht wusste: Ein Leser in Heidelberg hat’s noch besser! Denn in keiner anderen deutschen Stadt haben Lesebegeisterte mehr Platz vor den Bücherregalen, um sich ihre Schriftsteller auszusuchen. Hier gibt es – gemessen an der Einwohnerzahl – so viele Buchhandlungen wie nirgendwo sonst in Deutschland.

Aber das ist längst nicht alles: Zahlreiche Antiquariate, Bibliotheken und Verlage sind in Heidelberg ansässig, eine lebendige Autoren-, Übersetzer- und Theaterszene sorgt ständig für literarischen Nachschub; der Clemens Brentano Preis und der Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil werden außerdem in der Neckarstadt verliehen, die zu Recht den Titel »UNESCO City of Literature« trägt.

Es könnte also kaum einen passenderen Ort für die zweite Verleihung des Deutschen Buchhandlungspreises geben als die Literaturstadt Heidelberg – zumal in diesem wunderschönen spätklassizistischen Theater! Für Ihre Gastfreundschaft im schönen Heidelberg danke ich Ihnen sehr herzlich, lieber Herr Dr. Gerner. Es ist immer wieder wunderbar, in dieser an Kultur und Geistesgeschichte so reichen Stadt zu Gast zu sein und zu sehen, dass die »Metropolregion Rhein-Neckar« nicht nur geballte Wirtschaftskraft zu bieten hat: In fruchtbarer Nachbarschaft mit der »UNESCO City of Music« Mannheim ist ja mindestens auch die »Kulturregion Rhein-Neckar« entstanden.

Und weil auch heute Abend die Musik nicht fehlen darf, erfreut uns einmal mehr das Ensemble Modern mit seiner Kunst. Vielen Dank den Musikerinnen und Musikern für den schönen Auftakt mit Strawinsky und Beethoven!

»Wer noch liest, rebelliert«, verkündete kürzlich die Süddeutsche Zeitung. Die Rebellion der Lesenden äußere sich darin, dass sie an ihrer Leidenschaft festhalten, obwohl der Roman auf dem Nachttisch als Small-Talk-Thema längst ausgedient habe. Bei Sekt und Häppchen spreche man lieber über Fußball, das Wetter– und (amerikanische) Serien, weil heute angeblich aufgrund der Fülle an Veröffentlichungen selten dieselben oder – aus Zeitgründen – vielfach auch überhaupt keine Bücher mehr gelesen werden. Nun sollte die »Small-Talk-Tauglichkeit« vielleicht nicht das Maß aller Dinge sein … Dennoch ist es wichtig, dass all die »Aufständischen«, die gegen Amazon- und Netflix-Konkurrenz rebellieren, in den Buchhandlungen vor Ort ihre Komplizen finden!

Komplizen der Leseleidenschaft – das sind die 118 Buchhändlerinnen und Buchhändler, die wir heute Abend mit dem Deutschen Buchhandlungspreis auszeichnen: Sie kennen Klassiker ebenso wie Neuerscheinungen, weisen Wege durch die weite Welt der Bücher, machen neugierig auf weniger bekannte Titel und Autoren, raten zu oder ab, wecken und stärken die Lesebegeisterung und leisten so übrigens einen wichtigen Beitrag zur literarischen und kulturellen Vielfalt in unserem Land.

Weil diese kulturelle Vermittlertätigkeit wichtiger ist denn je in Zeiten, in denen die Konzentration auf dem Buchmarkt und die Konkurrenz des Online-Handels voranschreiten, vergeben wir heute Abend in drei verschiedenen Kategorien Preise im Wert von insgesamt 850.000 Euro – auch als Anerkennung für den Mut, sich mit Individualität und innovativen Geschäftsmodellen in einem schwierigen Markt zu behaupten, in dem der unternehmerische Spielraum für kleinere Buchhandlungen gewaltig schrumpft.

Erstmals vergeben wir in diesem Jahr – auf Initiative der Partner des Preises, des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und der Kurt Wolff Stiftung, – ein undotiertes Gütesiegel. Damit wollen wir auch den Buchhandlungen zu mehr öffentlicher Wahrnehmung verhelfen, die – im Gegensatz zu den anderen Preisträgern – jährlich mehr als eine Million Euro Umsatz erwirtschaften.

Für die unabhängige Jury war das mit einer Menge Arbeit verbunden, und ich bin dankbar, dass wir dabei auch hier wieder auf die »Komplizen der Leseleidenschaft« zählen konnten. Herzlichen Dank Ihnen, liebe Frau Radisch, und allen Mitgliedern, für Ihr großes, ehrenamtliches Engagement! Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Jury es nie allen recht machen kann – schon gar nicht allen Bewerbern. In diesem Jahr gab es vereinzelt Unmut, dass einige Buchhandlungen, die sich zum zweiten Mal beworben haben, wieder nicht, andere erneut mit einem Preis bedacht wurden. Das kann man nicht der unabhängigen Jury zum Vorwurf machen, auf deren Entscheidungen ich und mein Haus selbstverständlich keinen Einfluss nehmen. Wir werden uns aber – wie üblich bei Preisen dieser Art – nach der zweiten oder dritten Preisverleihung mit der Jury treffen, um unter anderem zu diskutieren, wie wir die Regeln und Kriterien der Vergabe weiterentwickeln können.

Wichtig ist mir, dass wir Buchhändlerinnen und Buchhändler unterstützen, die die den großen Ketten und dem Online-Handel mit originellen Geschäftsideen begegnen. Denn gerade sie stellen sicher, dass es auch abseits der Bestsellerlisten Aufmerksamkeit gibt für lesenswerte Bücher: für außergewöhnliche Geschichten, für ungehörte – und unerhörte – Stimmen, für neue Perspektiven.

Die Wertschätzung und die Förderung dieser Vielfalt und Freiheit ist Teil unseres Demokratieverständnisses, allein schon deshalb, weil Bücher zur freien Meinungsbildung und zu einer aufgeklärten, kritischen Öffentlichkeit beitragen, aber auch, weil Demokratie – wie Jean Paul das schon vor 200 Jahren so treffend formuliert hat – »ohne ein paar Widersprechkünstler […] undenkbar [ist]. « Wir brauchen die Künstler und Intellektuellen, die Querdenker und Freigeister, deren Werke wir in den Regalen unabhängiger Buchhandlungen finden! Sie sind der Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft, der verhindert, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Phantasielosigkeit und politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern. Nicht zuletzt kann Literatur denen eine Stimme geben, die sonst kein Gehör finden. Sie kann uns nötigen, die Perspektive zu wechseln und die Welt aus anderen Augen zu sehen. Deshalb werde ich in meinem Haus – so ist es geplant, und dafür ist auch ein entsprechendes Budget vorgesehen – ab 2017 einen neuen Förderschwerpunkt »Literatur« setzen:

Mit den zusätzlichen Mitteln wollen wir in den Bereichen »Literarisches Erbe«, »Literarische Gegenwart« und »Sprache« Projekte von bundesweiter Bedeutung fördern. Wichtig ist mir auch, mit Autorinnen und Autoren zu sprechen und mehr über ihre Lebens- und Arbeitssituation zu erfahren. Dabei liegt mir die Lyrik ganz besonders am Herzen: Einige Gedichtbände wurden in den vergangenen Jahren mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet – diese Aufmerksamkeit wünsche ich mir für alle Lyrikerinnen und Lyriker. Mehr Beachtung verdienen auch Übersetzerinnen und Übersetzer, die ja eine ungeheure eigenständige kreative Leistung erbringen, dafür in meinen Augen aber immer noch viel zu wenig gewürdigt werden.

Walter Benjamin hat einmal gesagt: »Von allen Arten, sich Bücher zu verschaffen, wird als die rühmlichste betrachtet, sie selbst zu schreiben.« Ich meine: Nicht weniger rühmlich ist die Buch-Beschaffung in der kleinen Buchhandlung des Vertrauens. Und deshalb wünsche ich den 118 Buchhandlungen, die wir heute auszeichnen, dass unser Preis das öffentliche Bewusstsein schärft für rühmliche und weniger rühmliche Arten, sich Bücher zu verschaffen. Denn letztlich ist es immer noch das Kaufverhalten der Kunden, das darüber entscheidet, ob sich die Buchhandlungen vor Ort erfolgreich gegen die Konkurrenz im Internet behaupten können.

In diesem Sinne: Auf die Komplizenschaft zwischen Lesern und Buchhändlern! Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Buchhandlungspreis!