Laudatio Kategorie hervorragende Buchhandlungen: Alfred Böttger

Laudatio Kategorie hervorragende Buchhandlungen: Alfred Böttger, Inhaber Buchhandlung Böttger, Bonn

 

Sehr geehrte Frau Grütters!

Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Buchhandel und Verlag!

Meine Damen und Herren!

Es ist ein wunderliches Unterfangen, eine Laudatio zu halten auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von 100 Buchhandlungen, die mit diesem Preis als herausragende Orte der Kultur ausgezeichnet werden. Weil jede dieser Buchhandlungen etwas ganz Besonderes und an ihrem Ort Einmaliges ist, müsste ich eigentlich 100 Laudationes halten. Das ist natürlich nicht möglich, also werde ich es anders versuchen und dabei auch recht Persönliches sagen, um mich nicht zu sehr im Allgemeinen zu verlieren.

Aus der Steinzeit meiner buchhändlerischen Anfänge leuchtet noch immer eine kleine Schrift von 1816 in meine Gegenwart hinein, die den Titel trägt: Der deutsche Buchhandel als Bedingung des Daseins einer deutschen Literatur. Dieser Titel ist Programm, bis heute. Der Verfasser Friedrich Christoph Perthes, der Ahnherr aller Buchhändler, hat 1796 die erste reine Sortimentsbuchhandlung gegründet und sich in zahlreichen Schriften zum Buchhandel – darunter versteht er immer den Sortimentsbuchhandel und die Verlage – geäußert. Für ihn ist der Verleger der Fabrikant, der Sortimenter der Detaillist. Ich mag diesen Begriff und verstehe ihn so: Der Detaillist beschäftigt sich in erster Linie nicht mit Stapelware, sondern sucht jenseits der Bestsellerlisten Literatur, die seiner Meinung nach zu wenig beachtet wird. Gerade sind 100 Detaillisten ausgezeichnet worden, denen ich gratuliere.

Liest man mit einiger Kenntnis der Schriften von Perthes die Ausführungen und Bestimmungen zum Deutschen Buchhandlungspreis, spürt man darin den Geist dieses Mannes. Das gefällt mir sehr, denn ohne in einer Tradition zu stehen, ist man blind für die Gegenwart und ideenlos für eine Zukunft.

Die deutsche Kulturlandschaft ist farbig und abwechslungsreich. Zu verdanken ist das den unzähligen Museen, Opernhäusern, Theatern, Konzerthallen und Programmkinos, die als kulturelle Institutionen über das ganze Land verteilt sind und zum Teil staatlich gefördert werden. Doch übersehen wurde oft, dass in diese Aufzählung auch die Buchhandlungen gehören. So findet sich schon bei Perthes die Forderung, wenn der Buchhandel die Druckschriften so verbreite, dass allenthalben möglichst gleichartig lebhafter Anteil an Sprache, Wissenschaft und Literatur erregt und erhalten werde, müsse derselbe als ein Nationalgut und –institut geachtet, gehegt, geschirmt und geschützt werden. Nach fast 200 Jahren ist diese Forderung durch den Deutschen Buchhandlungspreis erfüllt: Der Buchhandel wird ganz offiziell zur kulturellen Institution. Das ist eine große Ehre, eine Bestätigung unserer Arbeit, aber auch eine Verpflichtung für die Zukunft.

Perthes betont ganz besonders, dass an vielen Orten und nicht allein in Haupt- und Residenzstädten, sondern bis in die verstecktesten Winkel des Landes hinein Buchhandlungen getroffen würden, durch welche man sich die Literatur der ganzen gebildeten Welt zu eigen machen könne. Das Netz der Buchhandlungen, das sich über das Land ausbreitet, muss also schon vor 200 Jahren beeindruckend gewesen sein. Und ich bin sicher, es ist, obwohl immer wieder kleinere Buchhandlungen aufgeben, heute noch engmaschiger als damals. Es haben sich etwa 500 Buchhandlungen beworben. Von den 100, die heute in dieser Kategorie ausgezeichnet werden, bekommen 72 den Preis in diesem Jahr zum ersten Mal. Und wir alle wissen, dass unter den rund 400 Buchhandlungen, die nicht nominiert sind, sehr viele preiswürdige sich befinden und dazu noch zahlreiche, die auf dem Weg sind, preiswürdig zu werden. Ich finde, das ist eine gute Bilanz.

Auch kleine und kleinste Buchhandlungen, die in kleinen Städten, in Dörfern, in ländlicher Gegend ihre Position zu behaupten versuchen, werden heute ausgezeichnet. In dem Dorf, in dem ich zur Schule gegangen bin, gab es eine winzige Buchhandlung. Die Buchhändlerin, Frau Grighun, war eine freundliche ältere Dame. Sie hatte auf dem obersten Fach eines Regals alte Reclamhefte stehen, ein wenig angestaubte und vergilbte Exemplare, die sie mir – ich dachte damals ausschließlich mir – für 5 Pfennig das Stück anbot. Ich bekam im Internat 75 Pfennig Taschengeld pro Woche. Den größten Teil meines Taschengeldes trug ich zu Frau Grighun, die mir auch jede Woche ein Heftchen als unbedingt lesenswert empfahl, meist war es ein Text aus dem 18. oder dem 19.Jahrhundert. Dies war der Anfang meiner Büchersammlung. Im Schaufenster lagen stets drei oder vier Neuerscheinungen. Ich weiß noch, dass dort – aus der Rückschau meine ich, wochenlang – Uwe Johnsons „Zwei Ansichten“ lag, der einzige Titel, an den ich mich erinnern kann und der für mich die zeitgenössische Literatur schlechthin darstellte, geheimnisvoll und noch unerreichbar, noch unerschwinglich, anders als die Reclamhefte ganz oben auf dem Regal, die für den Vierzehnjährigen nur mit einer Leiter zu erreichen, aber für ihn durchaus schon bezahlbar waren. Ob daher meine große Liebe zu Johnson rührt? Vielleicht. Der Urgrund der Beschäftigung mit Literatur ist eine Emotion und keine rationale Erwägung. Ich weiß auch nicht, ob ich nach Abschluss der Schule ohne Frau Grighun je auf die Idee gekommen wäre, eine Buchhändlerlehre zu machen. Die kleine Buchhandlung mit dieser Frau als einziger Kraft in dem kleinen Dorf im Westerwald war die Keimzelle für meine Beschäftigung mit Literatur und hat meine Arbeit als Buchhändler, auch was meinen Umgang mit Kunden, besonders mit jungen Kunden anbetrifft, stark beeinflusst. Was für eine Wirkung diese kleine Buchhandlung hatte, und ich bin sicher, nicht nur auf mich! Heute gibt es sie längst nicht mehr, obwohl die Schule zehnmal so groß ist wie zu meiner Zeit. Welch ein Verlust! Welch eine Hoffnung aber auch, dass der Preis mit dazu beitragen könnte, dass kleine Buchhandlungen jetzt vielleicht eine größere Chance haben, zu überleben, allein schon dadurch, dass der Preis die Aufmerksamkeit auf solche Buchhandlungen lenkt und ihnen neue Kunden bringt. Ich gratuliere diesen kleinen Buchhandlungen besonders herzlich zu der Auszeichnung und wünsche Ihnen Kraft und Idealismus, weiterzumachen.

Buchhandlungen wie die hier ausgezeichneten sind eigentlich keine Konkurrenten, denn Konkurrenz heißt: Alle rennen in die gleiche Richtung. Vielmehr durchforsten diese Buchhandlungen ein riesiges Feld, jede Buchhandlung auf ihre Weise, ein riesiges Feld, in das unzählige Verlage ihre literarischen Keimlinge gesetzt haben. Daraus stellen die Buchhandlungen ihr Sortiment zusammen, unterstützt von der Auswahl in den Katalogen der Kurt Wolff Stiftung und von Vertretern, die ihre Verlage wie die Buchhandlungen, die sie seit Jahren besuchen, bestens kennen. Es ist ein so weites Feld, dass jede Buchhandlung das für sie und ihre Kunden Geeignete finden kann. Durch das Ergebnis dieser Suche, die Freude und Mühe macht zugleich, wird die Buchhandlung unverwechselbar und ergänzt die Aktivitäten des Kollegen in der Nähe. Der Preis ist ein Wettbewerb nicht miteinander konkurrierender Buchhandlungen, sondern ein Wettbewerb von Buchhandlungen, die sich ergänzen. So könnte man sich doch mit den Nominierten auch dann freuen, wenn die Buchhandlung, die man selbst für die beste hält, nämlich die eigene, nicht unter den Nominierten ist. Es gibt also genügend Gründe, sich zu freuen und zu feiern. Trotzdem hätte ich gern noch etwas mehr:

Als Buchhändler haben wir es ständig mit Jubiläen und Gedenktagen zu tun. Bei der großen Aufmerksamkeit, die der Mensch solchen Tagen schenkt, könnte man sagen, Jubiläen auszurichten und Gedenktage zu begehen, ist ein Wesensmerkmal des Menschen. So möchte ich heute auf zwei Gedenktage hoffen, die an Ereignisse erinnern würden, die für den Buchhandel von ganz entscheidender Bedeutung sind:

Am 3. Januar 1834, neun Jahre nach Gründung des Börsenvereins, erschien die erste Ausgabe des Börsenblattes, seither in ununterbrochener Folge Sprachrohr und offenes Diskussionsforum für Buchhändler und Verleger, in dem auch immer wieder Buchhandlungen von der Art der heute ausgezeichneten als Vorbild porträtiert werden. In der ersten Ausgabe stand ein grundlegender Aufsatz von Perthes, dem – ich nenne ihn einmal so – Spiritus Rector des Deutschen Buchhandlungspreises. Dort schreibt er: „Deutschlands Buchhandel hat, so wie die deutsche Gelehrsamkeit und Wissenschaftlichkeit, eine europäische Bedeutung und wird sie behalten.“ Diesen Satz – vor rund 180 Jahren geschrieben – konnte ich Ihnen nun wirklich nicht vorenthalten.

Vielleicht erinnert man am 3. Januar 2034 an das Erscheinen des ersten Börsenblattes 200 Jahre zuvor, vielleicht mit einem Faksimiledruck des ersten Heftes. Und weil ich ganz sicher bin, dass es in ferner Zukunft noch Bücher geben wird, so dass Buchhandlungen auch in ferner Zukunft notwendig sein werden, hoffe ich, dass man den Deutschen Buchhandlungspreis Jahr für Jahr wieder ausschreibt. Man könnte dann nämlich am 17. September 2065 den 50. Jahrestag der ersten Preisvergabe begehen, vielleicht im Deutschen Nationaltheater Weimar. Ich werde dieser Jubiläumsfeier, wie einige der hier Anwesenden auch, von einer höheren Warte aus nur zusehen und denken, dass ich ganz am Anfang mit dabei war.

Vorher aber möchte ich allen 100 Preisträgern nochmals gratulieren, von ganzem Herzen gratulieren. Genießen Sie den heutigen Tag in ungetrübter Freude! Und ich freue mich mit Ihnen.